Blick auf den Potsdamer Platz in Berlin aus einem Straßencafé, Timeline Classics          

1873 – 1933: Kornkammer der pulsierenden Weltstadt Berlin

Im Gründungsjahr der Berliner Stadtgüter 1873 lebten eine Million Menschen in der Stadt. Berlin war eine moderne Weltstadt, aber in vielen Teilen herrschte auch große Not. Die Stadtgüter-Erzeugnisse waren wichtig für die Versorgung der boomenden Stadt. Auch nach dem Ersten Weltkrieg trugen die Berliner Stadtgüter maßgeblich zur Ernährung der stetig wachsenden Bevölkerung bei. Bereits in den 1920er-Jahren reichten die Flächen für die Abwässer der inzwischen vier Millionen Berliner nicht mehr aus. Das erste Klärwerk entstand.

Vorbild Berlin

Im ausgehenden 19. Jahrhundert gehörte Berlin zu den saubersten Städten der Welt. 15 Jahre nach Baubeginn waren bereits über eine Million Haushalte an die neue Kanalisation angeschlossen. 1909 waren alle Radialsysteme in Betrieb. Hobrecht war zum international gefragten Experten geworden: Er beriet über 30 deutsche Städte beim Kanalisationsbau. Auch Metropolen wie Moskau, Tokio, Kairo oder Alexandria suchten seinen Rat.
Unter den Linden um 1913
Foto Arbeiter beim Abstieg in die Kanalisation 1930er Jahre, Berlin, Berlin, Abstieg in den Schacht zur Kanalisation, akg-images / TT News Agency / SVT

Wie kommen die Abwässer aus der Stadt?

12 voneinander unabhängige Entwässerungsbereiche, die Radialsysteme, bildeten das Grundgerüst des Hobrecht‘schen Systems. In einer Mischkanalisation flossen Ab- und Regenwasser zu einem Pumpwerk, von wo sie auf die Rieselfelder gepumpt wurden.

Standrohr und Absetzbecken

Die Kanalisation endete an den markanten Standrohren. Signalfahnen und -fackeln am oberen Ende der Standrohre zeigten dem Rieselwärter den Füllstand der Druckrohrleitung an. Die Standrohre befanden sich am höchsten Punkt des Geländes. Von hier aus folgte das Abwasser dem angelegten Gefälle. Die groben Verunreinigungen setzten sich in einem Absetzbecken ab. Dieser Schlamm wurde in Handarbeit entnommen, auf Schlammtrockenplätzen getrocknet und schließlich als Dünger verwendet. Der Denkmalpfad in Großbeeren macht die Technikgeschichte lebendig. Der ca. zwei Kilometer lange Rundweg mit sieben Exkursionspunkten und historischen Überresten wie Standrohr, Absetzbecken oder Grabenzuläufe vermittelt Wissenswertes über die Rieselfeldwirtschaft. Mehr.

Rieselfelder

Durch Schieber und Überleitungsgräben geregelt, floss das vorgereinigte Abwasser in die Rieselfeldschläge, die aus je sechs bis zehn Rieseltafeln bestanden. Alle Tafeln hatten ein leichtes Gefälle. Am tiefsten Punkt gelangte das Wasser in den Abzugsgraben und von dort über einen Vorfluter schließlich in ein natürliches Gewässer. Sämtliche technische Einrichtungen wurden überwiegend von Hand, ohne große technische Hilfsmittel erbaut. Wie alle Arbeiten auf den Rieselfeldern, war diese Arbeit körperlich sehr schwer.

Foto: Verlegung der Kanalisationsrohre, Berliner Wasserbetriebe. Foto: Bau eines Absetzbeckes, Berliner Wasserbetriebe

Das Leben auf den Stadtgütern

Die Entwässerung Berlins und die Stadtgüter waren von Beginn an mit komplexen Aufgaben verbunden. Die Stadtgüter sollten Freiflächen sichern und helfen, die Siedlungsentwicklung zu steuern. Die Landwirtschaft war wichtig, um die wachsende Stadt mit Frischgemüse, Obst, Fleisch und Milch zu versorgen. Rund um die neuen Stadtgüter wurden moderne Wohnungen und Gemeinschafts- und Freizeiteinrichtungen gebaut.

Die Stadtgüter ernähren die Metropole

Die Rieselfelder waren innerhalb weniger Jahre zu einem wichtigen Faktor für die Ernährung der Stadt geworden – auch und gerade im Ersten Weltkrieg mit dem verheerenden „Hungerwinter“ 1916/17. Die Abwässer machten die kargen Brandenburger Böden fruchtbar. Die Erträge konnten erheblich gesteigert werden. Angebaut wurden Roggen, Weizen, Gerste sowie Hafer, außerdem Mais, Kartoffeln, Kohl und Gurken. An den Feldrändern wuchsen über 200.000 Obstbäume, die Früchte für den Berliner Markt lieferten. Außerdem wurden Tausende Kühe, Schweine, Schafe und Hühner gehalten.

Foto 1 Gutshof in Hobrechtsfelde / Foto 2 Besatzungszonen 1945

Groß-Berlin als Großgrundbesitzer

Bei der Gründung Groß-Berlins im Oktober 1920 gehörten der Stadt über 50.000 Hektar Landwirtschafts- und Forstfläche – das entspricht etwa der Hälfte der heutigen Stadtfläche Berlins. Die Stadt bewirtschaftete rund um Berlin 51 Einzelgüter auf 25.255 Hektar Fläche. Weitere Flächen wurden angekauft, um die Siedlungs- und Freiflächenentwicklung zu steuern. Während der Weltwirtschaftskrise wurden in Deutschland Millionen Menschen arbeitslos, die Preise stiegen in unvorstellbarem Tempo. In diesen schweren Zeiten boten die Stadtgüter nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch sichere Arbeitsplätze und moderne Arbeiterwohnungen, was viele junge Menschen anzog.

Das erste Klärwerk

Mit der Bevölkerung wuchs auch die Abwassermenge. Auf den Rieselfeldern entstand eine sogenannte Rieselmüdigkeit. Die Erträge sanken. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde diskutiert, die Rieselfelder mithilfe von Klärwerken zu entlasten. 1928 wurde mit dem Bau eines Großklärwerks in Stahnsdorf begonnen. Nach dreijähriger Bauzeit wurde dort eine der modernsten Kläranlagen Europas in Betrieb genommen.
Foto: Klärwerk Stahnsdorf, Berliner Wasserbetriebe

Geschichte(n) zur Geschichte

Der Krauter

Als Kleinpächter auf den Rieselfeldern wirtschaften, lohnt sich das? Der Krauter findet: unbedingt! Hier erzählt er, warum.

Die Geschichte (Text: Friedhelm Maria Leistner) spricht Moritz, IT, seit 2010 bei den Berliner Stadtgütern.